So unangenehm es auch ist – wir werden immer wieder daran erinnert, dass der Aktienmarkt laut und häufig volatil ist, beeinflusst von einem stetigen Strom an Meinungen, Daten und Ereignissen. Unerwartete Schocks – ein plötzlicher geopolitischer Zwischenfall, eine überraschend enttäuschende Ergebnisveröffentlichung oder ein rascher Politikwechsel – sind unvermeidbare Bestandteile der Marktdynamik. Die jüngsten Entwicklungen rund um UnitedHealth sind ein treffendes Beispiel.
Seit Dezember 2024 geriet der Aktienpreis von UnitedHealth unter erheblichen Druck. Die tragische Ermordung von Brian Thomson, CEO der Versicherungstochter United Healthcare, führte zu einem intensiven Medienrummel und öffentlicher Kritik an Krankenversicherungsunternehmen. Verschärft wurde dies durch ein Übergangsfinanzierungsgesetz zum Jahresende, das potenzielle Reformen im Bereich Pharmacy Benefit Management (PBM) beinhaltete, sowie durch einen Bericht des Wall Street Journal (WSJ) im Februar 2025 über eine Untersuchung des US-Justizministeriums (DOJ) zu den Abrechnungspraktiken im Bereich Medicare Advantage (MA). Diese aufeinander folgenden Ereignisse kulminierten zu einem deutlichen Kursrückgang von rund 24 Prozent seit Dezember letzten Jahres.
Eine solche Volatilität erfordert eine disziplinierte Herangehensweise. In diesem Newsletter erläutern wir, wie wir im Allgemeinen denken und wie wir am besten vorgehen, wenn wir mit negativen Überraschungen konfrontiert werden.
Alles, was wir tun, beginnt und endet mit unseren Grundprinzipien. Im Vordergrund steht langfristiges Investieren – Aktien betrachten wir als Unternehmensbeteiligungen und nicht als kurzfristige Handelspapiere an der Börse. Bei unerwarteten Ereignissen kehren wir zu unseren Wurzeln zurück und fragen, was dies für die grundlegende Wirtschaftlichkeit des Unternehmens bedeutet, indem wir uns mit zwei zentralen Fragen befassen:
- Deutet dieses Ereignis auf eine potenzielle Schwächung des Wettbewerbsvorteils des Unternehmens hin?
- Verändert es den zugrunde liegenden Wachstumspfad des Unternehmens?
Diese Fragen dienen uns als Kompass. Bestätigt unsere Analyse, dass der Wettbewerbsvorteil des Unternehmens weiterhin stark ist und das langfristige Wachstumspotenzial unverändert bleibt, halten wir in der Regel unsere Position. Deutet das Ereignis jedoch auf grundlegende Veränderungen in einem dieser beiden Hauptbereiche hin, überdenken wir unsere Investmentthese. Je nach Ausmaß der Veränderung ziehen wir einen wahrscheinlichen Verkauf in Betracht. Dabei geht es nicht um kurzfristige Kursschwankungen, sondern es geht darum, zu erkennen, wann die Grundannahmen einer Investmentthese nicht mehr gültig sind. Wir sind überzeugt, dass dies ein vernünftiger und wirksamer Ansatz ist.
Wenden wir dieses Rahmenwerk auf die jüngste Situation bei UnitedHealth an, so liegt der Kernvorwurf des WSJ gegen das Unternehmen darin, dass es möglicherweise durch Manipulation des Erstattungssystems – insbesondere durch die künstliche Erhöhung der Risikobewertungen von Patienten – überhöhte Zahlungen von der CMS (Centers for Medicare & Medicaid Services, im Namen der Bundesregierung) erhalten hat. Um diesen Vorwurf zu verstehen, muss man die Verbindung zwischen Risikobewertungen und Versicherungsprämien kennen: Die Krankenversicherungsprämie basiert auf einem Kosten-Plus-Modell, wobei die „Kosten“ die voraussichtlichen künftigen medizinischen Kosten darstellen und das „Plus“ eine Gewinnspanne für die Versicherungsgesellschaft ist. Logischerweise beruhen diese Prognosen auf einer Bewertung des gesundheitlichen Zustands der Patienten, und das ist der entscheidende Faktor. In der Praxis wird diese Bewertung als „Risikokodierung“ bezeichnet, bei der Angehörige der Gesundheitsberufe Diagnosecodes zuweisen, die dann zu einem „Risikoscore“ führen. Somit bestimmen die Diagnosecodes die Risikobewertungen. Höhere Risikowerte führen zu höheren risikoadjustierten Prämien. Der Bericht des WSJ griff das Unternehmen genau in diesem Punkt an – überhöhte Abrechnungen durch unsachgemäße oder aggressive Diagnose- und Risikokodierungspraktiken. Es wurde auch berichtet, dass das DOJ daher eine zivilrechtliche Untersuchung der Medicare-Advantage-Risikokodierungspraktiken des Unternehmens eingeleitet hat.
Nach Veröffentlichung des Berichts eröffnete die Aktie mit einem Rückgang von über 12 Prozent. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass es sich dabei um Vorwürfe und nicht um erwiesene Fakten handelt. Die Art, der Umfang und sogar die Existenz dieser mutmaßlich unrechtmäßigen Abrechnungspraxis bei UnitedHealth sind – zumindest für die Öffentlichkeit – unklar. Unter Anwendung von Shannons Informationstheorie1, die Information als Reduktion von Unsicherheit definiert, ist die Qualität dieser Informationen somit relativ gering. Dies deutet darauf hin, dass die heftige Marktreaktion möglicherweise eher durch emotionale oder kurzfristig orientierte Handlungen als durch eine rationale Bewertung des zugrundeliegenden Unternehmenswertes motiviert war.
Obwohl wir die WSJ-Berichte gründlich analysiert und intern diskutiert haben, lässt sich ein klares Ergebnis einer solchen „gemeldeten“ zivilrechtlichen Untersuchung nicht vorhersagen. Sowohl die Berichterstattung als auch unsere Analyse unterliegen Einschränkungen – einschließlich unvollständiger Informationen, potenziell fehlerhafter Kontext, Interpretationsspielräume und mögliche Verzerrungen. Es gehört jedoch zu unserem Job, uns auch bei unvollständigen Informationen und Unsicherheit ein fundiertes Urteil zu bilden. Deshalb konzentrieren wir uns auf Informationen, die wir für wesentlich und verlässlich halten – und wir müssen nach bestem Wissen und Gewissen handeln, um die Wissenslücken zu schließen, wenn es nötig ist.
Unsere Bewertung stützt sich beispielsweise auf ein Verständnis des übergeordneten Kontexts der Krankenversicherungsbranche. Dieser Sektor ist durch ein inhärentes Spannungsfeld zwischen dem notwendigen Zwang zur Kostendämpfung und der potenziell unbegrenzten Nachfrage nach Gesundheitsleistungen gekennzeichnet, was zu Interessenkonflikten zwischen den verschiedenen Akteuren führt. Infolgedessen ist ein perfekter Preisbildungsmechanismus oder ein System, das alle Beteiligten zufriedenstellt, praktisch unmöglich. Entsprechend sind die MA-Zahlungen seit ihrer Einführung Gegenstand laufender Debatten und Untersuchungen. Die aktuelle Kontroverse über erhöhte MA-Zahlungen ist keine neue Entwicklung, sondern vielmehr ein wiederkehrendes Merkmal der Branche. Insbesondere die MA-Codierung und Risikoadjustierung, die grundlegend für die Bestimmung der Zahlungen sind, wurden über alle Generationen von Verwaltungen hinweg immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Auch wenn die im jüngsten WSJ-Bericht angesprochenen Themen für die breite Öffentlichkeit neu sein mögen, sind sie den Aufsichtsbehörden seit Langem bekannt.
Um die Genauigkeit der MA-Zahlungen sicherzustellen, hat die CMS im Laufe der Jahre mehrere zentrale Mechanismen eingeführt. Neben allgemeinen Prüfungen überprüfen sogenannte Risk Adjustment Data Validation (RADV)-Audits die Gültigkeit der von MA-Plänen eingereichten Diagnosecodes. Branchenexperten, darunter ein ehemaliger Direktor von Elevance Health2, berichteten, dass zahlreiche Versicherer wie Centene, ChenMed und Optum3 bis zu sechsmal jährlich von der CMS geprüft wurden. Diese Audits beinhalten eine detaillierte Überprüfung von stichprobenartig ausgewählten Krankenakten von Versicherten, um die gemeldeten Diagnosen zu verifizieren.4 Auf Basis festgestellter Abweichungen in der Stichprobe wird eine Fehlerquote bei den Zahlungen berechnet und auf den gesamten MA-Vertrag hochgerechnet. Bei festgestellten überhöhten Zahlungen fordert die CMS die entsprechenden Mittel des Versicherungsplans zurück. Darüber hinaus wird die Formel zur Risikoadjustierung regelmäßig überarbeitet, um die Gewichtung von Diagnosen so anzupassen, dass Kosten möglichst genau vorhergesagt und neu auftretende Probleme – etwa unnötige Diagnosen – abgeschwächt werden.
In den vergangenen vier Jahren hat die Biden-Administration großen Wert daraufgelegt, wahrgenommene überhöhte Zahlungen im Rahmen von MA (etwa 5 Prozent) anzugehen, und sich das Ziel gesetzt, die MA-Finanzierung zu reduzieren. Seit 2023 wurden mehrere politische Maßnahmen umgesetzt. Dazu gehören: 1) geringere jährliche Tariferhöhungen; 2) eine signifikante Änderung des Risikoadjustierungsmodells, von Version 24 (V24) auf Version 28 (V28)5, um den Einfluss der Risikocodierung zu verringern; 3) ein formalisiertes RADV-Verfahren zur besseren Erkennung unangemessener Diagnosekodierungen; und 4) strengere Kriterien für Qualitätsprämien (Sternebewertung). Bemerkenswert ist, dass sowohl RADV als auch V28 direkt auf die zentralen Bedenken eingehen, die vom WSJ geäußert wurden, und darauf abzielen, MA-Zahlungen anhand von Risikobewertungen besser an den erwarteten Kosten auszurichten. Es ist wichtig zu beachten, dass sich die WSJ-Artikel auf Daten bis einschließlich 2021 stützen – also auf einen Zeitraum, der den jüngsten regulatorischen Änderungen vorausgeht.
In Anbetracht des Ausmaßes der historischen und laufenden Untersuchungen erscheint die Aussicht auf eine systematische und vorsätzliche unangemessene Rechnungsstellung durch UnitedHealth zwar theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich. Mit fast 10 Millionen MA-Versicherten und einem Marktanteil von 29 Prozent steht das Unternehmen unter permanenter Aufsicht und operiert mit umfassenden rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen in einem streng regulierten Umfeld. Sollten Unregelmäßigkeiten auftreten, wären sie wohl eher auf technische Komplexität des MA-Zahlungssystems als auf anhaltendes, vorsätzliches Fehlverhalten zurückzuführen. Durch die Transparenz des Prozesses wird das Risiko einer groß angelegten, dauerhaften unangemessenen Rechnungsstellung wirksam gemindert, da größere Abweichungen von den Industrienormen leicht auffallen würden.
Gleichzeitig gilt: Risiko bedeutet, dass mehr Dinge passieren könnten als tatsächlich passieren werden – ein kluger Satz von Professor Elroy Dimson. Bei einer angemessenen Risikobewertung wird das schlimmste Ergebnis berücksichtigt. Selbst wenn UnitedHealth aggressivere Risikoausgleichspraktiken als seine Konkurrenten anwenden würde, würde sich der dadurch resultierende Margenvorteil auf etwa 0,5 Prozentpunkte und rund 2 Prozent des Konzerngewinns belaufen – ein eher begrenzter negativer Effekt, gemessen an der Größe und Diversifikation des Unternehmens.
Wir sind überzeugt: Eine sachgerechte Beurteilung jedes wesentlichen Ereignisses erfordert ein tiefgehendes Verständnis der Unternehmensfundamentaldaten sowie seines weiteren Umfelds. UnitedHealth hat über viele Jahrzehnte und alle wirtschaftlichen sowie politischen Zyklen hinweg beständig profitables Wachstum erzielt. Diesen anhaltenden Erfolg verdankt das Unternehmen seiner überragenden strategischen Weitsicht, seinem Netzwerk miteinander verbundener Wettbewerbsvorteile, seinem resilienten Geschäftsmodell und seiner Ausrichtung auf dauerhafte Wachstumstrends. Diese Stärken wurden über die Jahre nachweislich ausgebaut. Wir halten es für äußerst unwahrscheinlich, dass systematische unangemessene Abrechnungspraktiken eine bedeutende Rolle für diesen Erfolg gespielt haben. Nach unserer Einschätzung ist es deshalb wenig wahrscheinlich, dass diese Vorwürfe die Wettbewerbsposition oder das langfristige Wachstum von UnitedHealth wesentlich beeinträchtigen. Auch wenn wir die Entwicklungen weiterhin genau beobachten werden, ändert dies nichts an unserer Bewertung des Unternehmens und unserer langfristigen Investmentthese – wir halten die negative Marktreaktion für übertrieben.
Letztlich beruhen alle Investitionsentscheidungen auf menschlichem Ermessen – und damit auf Fehleranfälligkeit. Wir verpflichten uns weiterhin, unsere Ansichten zu aktualisieren, sobald neue Informationen vorliegen. Hauptziel dieses Newsletters ist jedoch Transparenz: wie wir denken, wie wir auf schlechte Nachrichten reagieren – und wie wir über kurzfristige Schlagzeilen hinausblicken, stets mit dem Blick auf den langfristigen Unternehmenswert. Denn genau dieser ist es, der langfristig den Erfolg bestimmt.
1Claude Shannon war ein amerikanischer Mathematiker, Elektroingenieur und Informatiker, bekannt als der „Vater der Informationstheorie“ und gilt als Begründer des Informationszeitalters. In Shannons Theorie ist Information am einfachsten definiert als eine Verringerung von Unsicherheit.
2Tegus-Interview mit einem ehemaligen Direktor der Abteilung für Anbieter- und Gesundheitsökonomie im Bereich der staatlichen Krankenversicherungen bei Elevance Health am 19. März 2025.
3Optum ist eine Tochtergesellschaft von UnitedHealth.
4Die Behörde verwendet einen stratifizierten Stichprobenansatz, um Verträge mit erhöhtem Risiko fehlerhafter Zahlungen auszuwählen – mit Schwerpunkt auf historischer Erfolgsbilanz und ungewöhnlichen Kodierungsmustern.
5Das Risikomodell v28, das entwickelt wurde, um Upcoding zu reduzieren, indem die von Anbietern im Medicare-Advantage-Programm verwendeten Komorbiditätsmultiplikatoren verringert werden, wurde 2023 eingeführt. Die Einführung erfolgt schrittweise zwischen 2024 und 2026, wobei jedes Jahr ein Drittel der Umstellung erfolgt, bis es 2026 vollständig integriert ist.
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