Im Berichtsmonat waren im Großen und Ganzen zwei wichtige Themen in den USA prägend.
Das erste Thema war das Katz-und-Maus-Spiel und der politische Machtpoker um die Anhebung der US-Schuldenobergrenze. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags gab es noch keine wesentliche Annäherung, und die Finanzmärkte warteten auf eine Beendigung des Tauziehens, um ihren Aufwärtstrend fortzusetzen oder – aus anderen Gründen – nach unten auszubrechen. Allgemein gehen die Kommentatoren davon aus, dass ein Deal erreicht werden kann, wie es auch in der Vergangenheit bei solchen Situationen stets der Fall war. In der Zwischenzeit hat Fitch, eine der weltweit wichtigsten Rating-Agenturen, US-Staatsanleihen der Ordnung halber unter negative Beobachtung gestellt, bis ein Ergebnis der Verhandlungen vorliegt.
Die zweite dunkle Gewitterwolke, die am Himmel aufzieht, ist das Risiko weiterer Bankenkrisen infolge fallender Preise an lokalen Gewerbeimmobilienmärkten. Zwar sind die Preise für Wohnimmobilien stabil. Doch zahlreiche regionale Banken auf dem gesamten US-Kontinent sind auf die eine oder andere Weise in das Geschäft mit der Kreditvergabe verwickelt und nutzen Gewerbeimmobilien als Sicherheiten. Fällt nun der Wert dieser Sicherheiten, müssen Kreditnehmer Sicherheiten in anderer Form vorlegen. Gelingt ihnen dies nicht, gerät die kreditvergebende Bank ins Trudeln und kann möglicherweise zusammenbrechen.
Ein Nebeneffekt des am US-Staatsanleihenmarkt entstandenen Vakuums und der Sorge, es könnte zu weiteren Anstürmen auf Banken kommen, ist die Umschichtung von Billionen von US-Dollar von Bankeinlagen und Anleihen auf Geldmarktfonds. Für Investoren, die auf Rendite aus sind, ist diese Anlageform derzeit möglicherweise die am wenigsten schlechte Option. Im Gegensatz zu ähnlichen Konstellationen während der globalen Finanzkrise 2008 sind die Nominalrenditen positiv und decken im Wesentlichen die Fixkosten. Somit ist vorerst kein Risiko erkennbar, dass der Nettoinventarwert von Geldmarktfonds unter die 1-USD-Marke fallen könnte („breaking the buck“) und die Renditen nicht mehr zur Deckung der Fixkosten ausreichen.
Oft sind Spannungen am Immobilienmarkt die Vorzeichen einer Rezession. Anders als jene US-Banken, deren Zusammenbruch in den letzten Monaten für viel Aufsehen sorgte, sind die meisten der Tausenden von regionalen US-Banken nicht börsennotiert, und es ist nicht einfach (wenn überhaupt möglich), Einblick in ihre Bücher zu erhalten. Woran kein Zweifel besteht, ist, dass die Spannungen hinter den Kulissen der regionalen US-Banken neben den viel beachteten Bankenversagen in diesem Jahr zur Verschlechterung der Liquiditätssituation, die für alle Finanzmärkte von zentraler Bedeutung ist, beitragen werden bzw. dies bereits tun.
Aus diesem Grund veranlasste das Protokoll der letzten Federal Reserve-Sitzung die Zentralbanken dazu, sich zu fragen, ob weitere aggressive Zinsschritte bevorstehen oder ob die Verschlechterung der Liquidität infolge der Spannungen im Bankensektor diese überflüssig machen wird. Gemäß dem Protokoll ist sich die US-Notenbank „weniger sicher“, ob höhere Zinsen erforderlich sind, wobei dahingestellt bleibt, was mit „weniger sicher“ nun genau gemeint ist.
Wie dem auch sei, im Mai haben sich die Aussichten für die Aktien- und Anleihekurse wieder gedreht, und die bestehende Unsicherheit wird wahrscheinlich anhalten, solange die Debatte über die Schuldenobergrenze nicht durch eine politische Einigung beendet wird. Die Positionen von Republikanern und Demokraten sind relativ festgefahren, und dies sowohl in Hinblick auf die Ausgabenfreudigkeit Präsident Bidens, der die US-Verbraucher während der Monate der Covid-Beschränkungen mit Geld überschüttet hat, als auch in Bezug auf dessen unverhohlenen Protektionismus, der unter anderem durch den Inflation Reduction Act zum Ausdruck kommt, um nur ein offensichtliches Indiz zu nennen. Schon früher einigte man sich öfters noch in allerletzter Minute auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze, und wahrscheinlich, wenn nicht mit Sicherheit, wird es auch diesmal nicht anders kommen.
Im Berichtsmonat waren die Anleihekurse wieder für die Performance der Finanzmärkte ausschlaggebend. Allerdings wurden im Mai die Anleiherenditen stark vom politischen Poker um die Schuldenobergrenze und dem anhaltenden Inflationsdruck in Mitleidenschaft gezogen, wobei der Ausblick relativ günstig bleibt, da die Inflation weiter sinkt. Für die Beobachter des Anleihemarktes ist das Glas derzeit halb leer, was sich auch in den Aktienkursen von Unternehmen niederschlägt, die als Anlagen mit langer Duration betrachtet werden, deren Wert vordergründig durch den Diskontierungssatz beeinflusst wird, der (auf Basis einer ewigen Rente) auf künftige Erträge angewendet wird. Hinzu kommt die Tendenz zu Gewinnmitnahmen bei den Aktienkursen von Unternehmen, die von der Unterbrechung des Aufwärtstrends von Anleiherenditen profitiert haben, die für nicht wenig Verwirrung gesorgt hat.
Was weltweit Aufmerksamkeit erregt hat, ist der wachsende Einfluss der künstlichen Intelligenz in der Geschäftswelt sowie die Debatte darüber, wie sich diese auf die Zukunft von Arbeitsplätzen in weiten Teilen der Industrie und des Dienstleistungssektors auswirken kann. Ein Blick auf die Entwicklung des Aktienkurses des US-Tech-Konzerns Nvidia seit Jahresanfang zeigt, wie die Nachfrage nach leistungsstarken Mikroprozessoren, die in der Lage sind, die gigantischen Datensätze zu trainieren, die für KI-Modelle erforderlich sind, in dem Maße explodiert ist, wie künstliche Intelligenz an Sichtbarkeit gewinnt. Wieder einmal steht KI im Fokus der Aufmerksamkeit. Doch die Idee, dass Maschinen die menschliche Intelligenz kopieren oder überholen, ist alles andere als neu, wie die nachstehende Abbildung zeigt. Im alten Griechenland war selbst die breite Masse über die Bedrohung durch künstliche Intelligenz besorgt.
Abbildung 1: Silberne Didrachme aus Kreta, auf der Talos, ein antiker mythischer Automat mit künstlicher Intelligenz, dargestellt ist (ca. 300 v. Chr.).
Source: Cabinet des Médailles, Paris. (Wikipedia, 2023)
Inzwischen haben bis zu zweihundert Millionen Nutzer mit ChatGPT experimentiert oder nutzen den Chatbot regelmäßig, ebenso wie zahlreiche andere KI-Anbieter. Zudem haben bereits bis zu 25 % der US-Unternehmen solche Dienste in Anspruch genommen, und es ist zu erwarten, dass es im Laufe der Zeit – mit zunehmender Vertrautheit der Nutzer mit solchen Anwendungen – noch viel mehr werden. Der Wettlauf um die Poleposition bei dieser bahnbrechenden Technologie, die die Spielregeln für Unternehmen von Grund auf verändert, ist mitunter von heftigen Auseinandersetzungen begleitet, wie durch die Wortgefechte zwischen Microsoft und Google deutlich wird.
Wie sich künstliche Intelligenz, sei es im positiven oder im negativen Sinne, auf das tägliche Leben von Verbrauchern, Unternehmen und der politischen Führung auswirken wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Viele Auswirkungen werden erst mit der Zeit, mit der fortschreitenden Entwicklung des Phänomens, offenbar werden.
Bis dahin wird die Stimmung an den Aktienmärkten weiter von dem alten Sprichwort „Sell in May and go away…“ (im Mai verkaufen und verschwinden) geprägt sein. Dies gilt jedoch nicht für die hochrentablen Anlagen mit langer Duration und unbegrenztem Zeithorizont, die Teil des Investmentansatzes von Quality Growth Investoren sind.
Sie haben die Zeit auf Ihrer Seite.
P. Seilern
25. Mai 2023
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