Firmen, und allen voran börsennotierte Unternehmen, stehen vor einer besonderen Herausforderung, die sich aus der Unterscheidung zwischen Management und Eigentümern ergibt. Manager sind zwar für das Tagesgeschäft zuständig, doch sie sind in der Regel die Beauftragten (Agenten) der Eigentümer (Prinzipale) und sind selbst nicht immer am Unternehmen beteiligt, das Eigentum der Aktionäre bleibt. In einer idealen Welt würden Manager automatisch im besten Interesse der Aktionäre handeln. Doch in der Praxis bedarf es eines strukturierten Systems, das sicherstellt, dass sie ihre persönlichen Ambitionen den gemeinsamen Zielen des Unternehmens unterordnen. Um dieses Dilemma zu lösen, muss ein geeigneter Rahmen geschaffen werden, der einer langfristige Wertschöpfung zugunsten der Aktionäre förderlich ist. Dieser gemeinhin als Corporate Governance bezeichnete Rahmen legt fest, wie Unternehmen geführt und kontrolliert werden, mit dem letztendlichen Ziel, den Wert für die Aktionäre zu optimieren, wobei gleichzeitig ethische Grundsätze eingehalten und die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden sollen. Auf diese Weise wird Vertrauen geschaffen, die verantwortungsvolle Unternehmensführung wird gestärkt und Interessenkonflikte werden entschärft. In diesem Newsletter gehen wir näher auf das Prinzipal-Agent-Problem ein – dem Konflikt, der zwischen Eigentümern und Agenten entstehen kann und sowohl das Management als auch den Verwaltungsrat betrifft.
An erster Stelle steht dabei der Verwaltungsrat als Bindeglied zwischen den Eigentümern des Unternehmens (den Aktionären) und den Personen, die das Unternehmen in deren Auftrag führen (den Managern). Dem Verwaltungsrat obliegt es, die Ziele des Unternehmens festzulegen und dafür zu sorgen, dass sie erreicht werden. Ein Corporate Governance-Kodex bietet einen Rahmen, der dem Vorstand dabei hilft, die Erwartungen derer zu erfüllen, für die er arbeitet. Es ist jedoch die Führung des Vorstands, die die Dynamik und das Management schafft, von denen letztlich das Wachstum und der Erfolg des Unternehmens abhängen.
Unserer Ansicht nach sollte ein Verwaltungsrat über drei wichtige Eigenschaften verfügen: Damit der Verwaltungsrat einen Mehrwert schaffen kann, sollten seine Mitglieder eine angemessene Mischung an Erfahrungen mitbringen, wozu auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen «Insidern» (die das Geschäft gut kennen) und «Outsidern» (die eine frische Perspektive einbringen können) gehört. Zweitens brauchen die Mitglieder Zeit und Raum, um ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen zu können. Und drittens müssen sie sich ihrer Rolle und Verantwortung verpflichtet fühlen.
In diesem Sinne besteht die Rolle des Verwaltungsrats darin, Konflikte zu entschärfen, mit denen sich die Unternehmensleitung in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert sieht, wie z. B. Informationsassymetrie, übermässige Risikobereitschaft, mangelnde Motivation, Kurzfristorientierung oder Eigeninteresse, um nur einige Prinzipal-Agent-Probleme zu nennen.
Eine der effektivsten Möglichkeiten für den Verwaltungsrat, diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die Ausarbeitung und Umsetzung eines geeigneten Rahmens für die Rechenschaftspflicht und die Vergütung. Wie bereits in einem meiner letzten Newsletter (Gute Unternehmensführung Braucht Die Richtigen Anreize) ausführlich beschrieben, muss der Verwaltungsrat Vergütungspakete entwickeln, die Anreize und Verträge an langfristige Kennzahlen und Wertschöpfung knüpfen und bei denen die Manager gegebenenfalls viel verlieren können. Eine solche Vergütungsstruktur hält die Manager davon ab, übermässig hohe Risikobereitschaft an den Tag zu legen und verhindert individualistische Entscheidungsfindung.
Der Skandal um die nicht autorisierten Konten bei Wells Fargo, ein Lehrstück über die Prinzipal-Agent-Problematik, führt uns die Grenzen von Corporate Governance vor Augen: Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass Mitarbeiter von Wells Fargo Millionen nicht autorisierter Bank- und Kreditkartenkonten im Namen von Kunden und ohne deren Wissen und Zustimmung eröffnet hatten. Die treibende Kraft hinter dieser betrügerischen Praxis waren Umsatzquoten und Anreize, die Mitarbeiter unter Druck setzten, unrealistische Zielvorgaben zu erfüllen.
Dieser Skandal macht deutlich, dass es gefährlich sein kann, die Vergütung an Erfolgskennzahlen zu koppeln. Zwar können Anreize gewünschtes Verhalten unterstützen. Sie können aber auch unbeabsichtigt zu unethischem Verhalten führen, etwa wenn Mitarbeiter sich gezwungen sehen, Ziele um jeden Preis zu erreichen. In diesem Fall führte der Druck, Umsatzziele zu erreichen, zu betrügerischem Verhalten, das den Kunden und dem Ruf der Bank schadete.
Der Fall Wells Fargo zeigt auch, wie wichtig die Aufsichtsfunktion des Verwaltungsrats ist und wie schwierig es sein kann, unethisches Verhalten in grossen Unternehmen zu erkennen. Der Skandal offenbarte ein Versagen des internen Kontrollsystems und das Fehlen angemessener Governance-Verfahren, da die Praktiken bereits seit Jahren existierten, bevor sie aufgedeckt wurden. Dies wirft die Frage auf, wie effektiv der Verwaltungsrat ist, wenn es darum geht, ethisches Verhalten und Risikomanagement sicherzustellen.
Das obige Beispiel zeigt, dass Strategien wie ein Vergütungsrahmen und die Kontrolle durch den Verwaltungsrat zwar wichtig sind, aber allein nicht ausreichen. Auch wenn Manager mitunter stärker geneigt sind, sich vom Eigennutz verleiten zu lassen, ist der Verwaltungsrat als Gruppe von Einzelpersonen genauso wenig davor gefeit. Um das Prinzipal-Agent-Problem in den Griff zu bekommen, muss daher die richtige Anreizstruktur durch weitere Methoden und Massnahmen ergänzt werden.
Theoretisch werden die Mitglieder dieses Gremiums von den Aktionären gewählt, die sie ermächtigen, das Unternehmen in ihrem Auftrag zu führen, und die Verwaltungsratsmitglieder formulieren dann die Ziele des Unternehmens und bestellen die Manager, die diese Ziele erreichen sollen. In der Praxis haben die Aktionäre der meisten börsennotierten Unternehmen jedoch nur ein geringes Mitspracherecht bei der Ernennung der Vorstandsmitglieder. Das Fehlen einer echten und konsequenten Rechenschaftspflicht gegenüber den Aktionären ist einer der Hauptgründe dafür, dass es den Aufsichtsräten in vielen Fällen nicht gelungen ist, die von ihnen erwarteten Ergebnisse zu erzielen. Es ist in erster Linie Aufgabe des Vorsitzenden, dafür zu sorgen, dass der Verwaltungsrat die legitimen Erwartungen der Aktionäre erfüllt. Letztlich sind es jedoch die Aktionäre, die sicherstellen müssen, dass ihr Unternehmen von einem effizienten Verwaltungsrat geleitet wird, das für seine Arbeit rechenschaftspflichtig ist.
In den letzten Jahren ist das Thema Aktionärsaktivismus in den Mittelpunkt der Corporate Governance-Diskussionen gerückt. Die Aktionäre haben erkannt, dass sie die Überwachung ihrer Unternehmen vernachlässigt haben. Es folgten Wellen von Kampagnen, die darauf abzielten, die in ihren Sitzungssälen verschanzten Verwaltungsräte davon zu überzeugen, den Forderungen der Aktionäre nach Rechenschaftspflicht, Transparenz und Stewardship nachzukommen. Denn die Leistung von Verwaltungsratsmitgliedern muss genau wie jene der Führungskräfte einer Beurteilung unterzogen werden. Ohne systematische Evaluierung kann es keinem Verwaltungsrat gelingen, seine Aufgaben, die strategische Ausrichtung des Unternehmens, festzulegen und den Erfolg des Managements bei der Umsetzung dieser Strategie zu überwachen.
Der Einfluss und die Entschlossenheit institutioneller Anleger, und insbesondere der grossen Anlageverwalter, Aktionärsanträge zu unterstützen, nimmt zu und trägt dazu bei, die Rechenschaftspflicht und die Kontrolle des Verwaltungsrats zu verbessern. Einem Bericht von Ernst & Young zufolge geben 74 Prozent der institutionellen Anleger an, ihr Engagement bei den Unternehmen in Fragen der Corporate Governance verstärkt zu haben. Ebenfalls eine Stärkung erfährt das Nominierungsrecht (Proxy Access), das es Aktionären ermöglicht, über die Vollmachtserklärung eines Unternehmens eigene Kandidatinnen und Kandidaten für Aufsichtsratsposten zu nominieren. Aus einem Bericht von The Conference Board geht hervor, dass über 70 Prozent der Unternehmen im S&P 500 Index eine Form von Proxy Access eingeführt haben, gegenüber nur 48 Prozent im Jahr 2015. Stimmrechtsberater von Unternehmen (Proxy Advisors) wie ISS und Glass Lewis spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung und Verbesserung des Abstimmungsverhaltens von Aktionären zu verschiedenen Themen wie Vergütung von Führungskräften, Transparenz, Zusammensetzung des Vorstands, Rechenschaftspflicht und anderen Corporate-Governance-Fragen.
Unser Ziel bei Seilern ist, bei allen Beschlüssen, einschliesslich Aktionärsbeschlüssen und Kapitalmassnahmen, im Rahmen aller ordentlichen und ausserordentlichen Hauptversammlungen der Unternehmen in unserem Portfolio unser Stimmrecht auszuüben. Wir tun dies, weil es unsere Aufgabe und treuhänderische Pflicht ist, unsere Aktionärsrechte im besten Interesse unserer Kunden auszuüben. Wir nehmen diese Gelegenheiten zur Stimmabgabe konsequent wahr, da sie uns die Möglichkeit geben, den Verwaltungsrat und das Management zu ermutigen, sich mit Bereichen zu befassen, bei denen wir Bedenken haben, und Themen anzugehen, die wir unterstützen möchten. Wir verfügen über interne Grundsätze für die Stimmrechtsausübung und haben Zugang zu Stimmrechtsvertretungs-Research, das uns bei der Beurteilung von Beschlüssen und schwierigen Fragen hilft. Wenn wir für unsere Kunden unser Stimmrecht ausüben, kennen wir zwar die jeweiligen Abstimmungsempfehlungen der Stimmrechtsberater, doch wir delegieren unsere Verantwortung nicht und lagern diesbezügliche Aktivitäten nicht aus.
So haben wir zum Beispiel bei der Hauptversammlung von Assa Abloy 2021 gegen die Wiederwahl der Gesamtheit der Verwaltungsratsmitglieder gestimmt. Das Unternehmen geht bei der Wahl des Verwaltungsrats pauschal vor, was keine gute Praxis darstellt, da es Aktionären so nicht möglich ist, gegen einzelne Mitglieder zu stimmen. Wir haben gegen die Wiederwahl aller Verwaltungsratsmitglieder gestimmt, da wir darin eine Schwäche der Corporate Governance-Praxis des Unternehmens sehen. Insbesondere hielten wir die Anzahl der wirklich unabhängigen Mitglieder für zu gering und die Zusammensetzung des Prüfungs- und Vergütungsausschusses für nicht ausreichend unabhängig.
Assa Abloy ist ein Unternehmen, das mehrheitlich von zwei verbundenen Unternehmen – Investment AB Latour und Melker Schorling AB – kontrolliert wird. Aufgrund der dualen Abstimmungsstruktur von Assa Abloy üben diese zwei Unternehmen 40.3 Prozent der Stimmrechte aus, bei 12.6 Prozent des Aktienkapitals. Obwohl wir grosses Vertrauen in die Fähigkeiten dieser beiden Unternehmen haben, die den Erfolg von Assa Abloy bis heute ermöglicht haben, sind wir der Ansicht, dass die Kontrolle durch unabhängige Verwaltungsratsmitglieder verbesserungsfähig ist. Vor allem im Prüfungs- und im Vergütungsausschuss würden wir eine unabhängigere Besetzung begrüssen. Wir haben dem Unternehmen unsere Bedenken im Vorfeld der Generalversammlung erläutert und haben dann gegen die Wiederwahl der Verwaltungsratsmitglieder gestimmt.
Aktionärsaktivismus mag ein gutes Mittel sein, um den Verwaltungsrat und das Management zur Verantwortung zu ziehen, doch er ist kein Allheilmittel. Einige Kritiker meinen, dass aktivistische Aktionäre ihren eigenen kurzfristigen finanziellen Gewinn über die allgemeine Gesundheit und den langfristigen Erfolg des Unternehmens stellen. Zudem könnte ein übermässiger Aktionärsaktivismus zu einer Fragmentierung der Entscheidungsprozesse führen, mit dem Risiko, die Umsetzung einer kohärenten, langfristigen Strategie durch das Unternehmen zu behindern. Eine stärkere Überwachung des Managements durch den Verwaltungsrat ist zwar sehr wichtig. Skeptiker argumentieren jedoch, dass ein zu starkes Eingreifen des Verwaltungsrats die Autonomie und Effizienz der Geschäftsführung beeinträchtigen könnte. Ein Verwaltungsrat, der ständig die Entscheidungen des Managements in Frage stellt, könnte Entscheidungsprozesse verlangsamen und Innovationen im Keim ersticken. Hier gilt es, den richtigen Mittelweg zu finden und einerseits ein wachsames Auge auf das Management zu haben, ihm andererseits aber auch die nötige Flexibilität einzuräumen, um auf dynamische Marktbedingungen reagieren zu können.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass persönliche Interessen mit dem Gemeinwohl in Einklang gebracht werden müssen. Managern und Verwaltungsratsmitgliedern kommt die zentrale Aufgabe zu, ihr Unternehmen zu dauerhaftem Erfolg zu führen. Kommt es auf dieser Reise infolge von Prinzipal-Agent-Konflikten zu Turbulenzen, wird ihnen ein Kompass namens Integrität Orientierungshilfe bieten. Letztlich liegt die Verantwortung jedoch bei den Aktionären. Ihre Rolle ist die des wachsamen Hüters einer nachhaltigen Wertschöpfung, die weit über die Aufgaben eines blossen Investors hinausgeht.
F. León,
31. August 2023
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