Im Berichtsmonat haben sich die Trends der letzten Monate des Jahres 2022 fortgesetzt. In Anbetracht dieser Trends werden die Stimmen, nach denen „die Märkte irren“, immer lauter. Vom Tiefpunkt der Baisse im Oktober 2022 bis zum zornigen Aufstampfen angesichts der inhärenten Stärke der Anleihemärkte (und zu einem gewissen Grad auch der Aktienmärkte), waren sich die meisten Kommentatoren, Beobachter und Anleger einig: Die Märkte sollten der restriktiven Haltung der Zentralbanken Rechnung tragen, anstatt eigene Wege zu gehen. Ein bekannter Kommentator wagt sich sogar so weit vor, zu behaupten, dass nicht menschliche Gehirne, sondern Rechner und Algorithmen die Anleihekurse anheizen. Für denselben Kommentator ist die aktuelle, unerwartet beharrliche Weigerung der Anleihekurse, den Weg des geringsten Widerstands (nach unten) einzuschlagen, eine Fehlentwicklung, die nur darauf wartet, korrigiert zu werden. Auch die ungewöhnlich hohe Volatilität der Anleihekurse wird als Beweis dafür genommen, dass die Kurse die zugrunde liegende Wirtschaft nicht hinreichend widerspiegeln.
Als die Inflation vor etwa zwei Jahren zu steigen begann, glaubten die meisten Anleger, es handle sich um ein vorübergehendes Phänomen. Zu dieser Gruppe, der die Mehrheit der beteiligten Parteien angehörten, darunter auch der Autor dieses Newsletters, zählten unter anderem führende Zentralbanken, bekannte Investment-Gurus und Mainstream-Anleger. Da die normale Inflation den Abwärtstrend der letzten 12 Monaten fortsetzt, legen diese Beobachter den Fokus nunmehr auf die unbeirrbar hartnäckige Kerninflation. Mit dem Ergebnis, dass die meisten Gurus, Beobachter und Anleger (ebenso wie führende Zentralbanken) ihre Meinung geändert haben und nunmehr einen anderen Ton einschlagen. Sie sehen die Inflation nicht mehr als vorübergehend an. Stattdessen halten sie dafür, dass sich die Inflation in der nächsten Zukunft auf einem Niveau oberhalb der Toleranzschwelle der Zentralbanken bewegen wird. Dementsprechend sollten die Zinsen „länger höher“ bleiben.
Für das geänderte Szenario gibt es mehrere Gründe. Ausgelöst wurden die Veränderungen durch das Einfrieren russischer Vermögenswerte und die Verringerung der Abhängigkeit des Westens von den umfangreichen russischen Rohstofflieferungen infolge des Ukraine-Kriegs. Auch das übermässige Vertrauen auf chinesische Lieferketten ist zu einem Problem geworden und nicht mehr länger die effiziente Lösung, die sie einmal darstellte. Weitere Gründe sind vor allem das vermeintliche Ende der Globalisierung, bei der Sicherheit vor Wohlstand geht, Lieferketten entflochten werden und das Offshoring dem Onshoring (oder zumindest dem Friendshoring) weicht. Die Fortführung des selektiven Protektionismus seines Vorgängers durch US-Präsident Joe Biden sowie sein inflationärer Inflation Reduction Act und sein CHIPS Act haben ausserhalb der USA für viel Aufruhr gesorgt. Ein weiterer Faktor war das harte Vorgehen von Biden gegen die Verwendung chinesischer Technologien. Letztlich wird all dies das Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne belasten. Während der Westen mit einer durch Unterkapazitäten bedingten Inflation kämpfen wird, wird China infolge seiner Überkapazitäten eine Desinflation erleben.
Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die zunehmende Vehemenz, mit der Chinas wirtschaftliche Stärke rund um den Globus propagiert wird, während die anderen, vor allem westliche Volkswirtschaften vor Chinas Einschüchterungstaktik zurückschrecken und nach Handels- und Geschäftsmöglichkeiten suchen, die nicht so stark vom Reich der Mitte abhängig sind. Ein geringeres Maß an Globalisierung birgt daher die Gefahr, dass sich die Inflationsraten in den hochentwickelten Volkswirtschaften in einer Höhe einpendeln, die innerhalb der Toleranzgrenze der Zentralbanken sogar zum „neuen Normal“ werden könnte.
Die Anzeichen mehren sich, dass den USA gegenüber feindlich eingestellte Länder wie China, Indien oder Brasilien – mit der Unterstützung und Ermutigung Russlands – versuchen, den Status des US-Dollars als sicherer Hafen und Handelswährung zu untergraben. Läutet dies den Anfang vom Ende des westlichen Handels- und Zahlungssystems ein, und steht der Renminbi im Begriff, zur führenden Reservewährung der Welt aufzusteigen? Der grosse Lärm rund um diese Theorie lenkt von der Tatsache ab, dass eine Reservewährung mehr als eine etablierte Rechnungseinheit, Wertanlage oder ein monetäres Tauschmittel sein muss. Ihr Umrechnungskurs muss zudem frei schwanken, sie muss frei konvertierbar sein und durch einen breiten, liquiden und offenen internationalen Staatsanleihemarkt Rückendeckung erhalten. Ausserdem muss sie im Verhältnis zu den anderen konkurrierenden Reservewährungen wie Euro und Yen stark vertreten sein und ihr Land muss langfristig eine auf Leistungsbilanzüberschüsse ausgerichtete Politik verfolgen.Und nicht zuletzt darf die Wirtschaft des Landes von keiner Kommunistischen Partei kontrolliert werden. Denn ob eine Währung zu einer Reservewährung aufsteigt oder nicht ist letztlich vor allem eine Frage des Vertrauens.
Der neue Weg des geringsten Widerstand
Anstürme auf Banken sind – ebenso wie Gewinnwarnungen und Bezugsrechtsemissionen – wie Kakerlaken. Auf die erste folgt unweigerlich eine zweite, dritte und vierte. Dieses Phänomen ist keineswegs neu, und im Berichtsmonat bewahrheitete es sich weiter. Als die Einlagenkunden ihr Geld von den Banken abhoben, floss dieses in verschiedener Form in den Markt zurück – allerdings ausserhalb des primären Bankensystems. Staatsanleihen, die als letztlich risikoärmste Anlage gelten, haben gezeigt, dass der Weg des geringsten Widerstands für Anleihekurse tatsächlich aufwärts führt. Was bei den zuvor angeführten Beobachtern, die erwarteten, dass Geld teurer werden und so unweigerlich die Aktienkurse belasten würde, für einige Bestürzung sorgte. Die US-Berichtssaison dürfte Erwartungen zufolge schwach ausfallen und weitere Kurseinbrüche auslösen.
Hier kann ein Quality Growth-Investor einmal mehr erkennen, dass die etablierte Weisheit, wonach eine höhere Anlagerendite das Eingehen eines hohen Risikos voraussetzt, völlig unzulänglich ist. Noch vor wenigen Monaten war davon auszugehen, dass steigende Zinsen für starke Kurse bei Bankentiteln sorgen würden, da diese Institutionen von höheren Nettozinsmargen profitierten. Für zahlreiche Investoren war daran gar nichts zu rütteln. Umso böser war das Erwachen in Form eines raschen, brutalen und endgültigen Kapitalverlusts für die Börsenspekulanten, die sich von der vermeintlichen Dynamik steigender Bankaktienkurse locken liessen.
Für Quality Growth-Investoren war der Hintergrund ein völlig anderer. Trotz der schwierigen Situation, in der sich ihre Aktienkurse in den letzten zwei Jahren befanden, konnten echte Quality Growth-Unternehmen Quartal für Quartal überdurchschnittliche Unternehmensrenditen verbuchen. Diese Unternehmen stellen ein eindeutig geringeres Risiko da, zumal ihre Bilanzen weitgehend oder ganz frei von Nettoverschuldung sind und sie ein überdurchschnittliches Gewinnwachstum aufweisen. Und da die Gewinne die Aktienkurse beflügeln, haben Anleger in Quality Growth Unternehmen überdurchschnittliche Aktienkursrenditen erzielt, während sich die Anleiherenditen offenbar auf ihr neues Niveau eingependelt haben.
Und wieder einmal wurden etablierte Weisheiten aus den Angeln gehoben.
P. Seilern
26. April 2023
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