Der Titel dieses Newsletters klingt vielleicht nicht gerade nach einer leichten Urlaubslektüre am Strand. Was Sie hier finden, ist vielmehr eine grundlegende Top-Down-Beschreibung, wie sich die tektonischen Platten auf den Märkten für festverzinsliche Wertpapiere verschieben könnten, und dies insbesondere auf dem wichtigsten Markt, dem US-Treasuries-Markt. In diesem Newsletter geht es auch darum, wie die Federal Reserve angesichts der Folgen und Risiken der in den letzten beiden Jahren ergriffenen Massnahmen zur Inflationsbekämpfung («einmal Hü und einmal Hott») nicht davor zurückschreckt, neue Wege zu beschreiten.
Zwar verharrt die Inflation in einigen Bereichen auf hohem Niveau. Doch die Märkte, Marktteilnehmer und Zentralbanken erkennen im Grossen und Ganzen an, dass die aggressive Geldpolitik tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielt, indem sie den Inflationsdruck eindämmt, auch wenn dies dazu führt, dass die kurzfristigen Zinsen für längere Zeit höher bleiben, was immer das bedeuten mag.
Einzelne Medien verkünden nach wie vor, die Märkte irrten sich und das Schlimmste stünde noch bevor, die Inflation sei noch lange nicht besiegt und die Rezession sei nur vorübergehend gebannt. Die üblichen Argumente werden vorgebracht – vom Ende der Globalisierung bis hin zur Ablösung von Just-in-time- durch «Just-in-case»-Lieferketten, aus Gründen der Sicherheit. In der Realität ist jedoch eher davon auszugehen, dass kommerzielles Geschick den freien Handel rund um den Globus auch in Kriegszeiten aufrechterhalten wird.
Im Berichtsmonat ist deutlich geworden, dass die chinesische Wirtschaft mit grossen Problemen zu kämpfen hat. Dem im erforderlichen Mindestmass «freien» Markt steht die Einmischung durch die Kommunistische Partei gegenüber (alle wichtigen Banken werden vom Staat als Anteilseigner kontrolliert). Und da die Wirtschaftsdaten aus dem Reich der Mitte bekanntlich nicht unbedingt zu den verlässlichsten gehören, kann der Beobachter schnell zu dem Schluss kommen, dass die jüngst angekündigten geldpolitischen Massnahmen zu wenig sind und zu spät kommen, während die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt wieder in die Deflation abgleitet. Nichtsdestotrotz hält die Zentralbank dieser wichtigen Volkswirtschaft an ihrem Kurs weiterer Zinssenkungen fest.
Die Schweizer Tageszeitung Neue Zürcher Zeitung sieht in China sechs Hauptprobleme: Eine geplatzte Immobilienblase; ein Vorschieben der nationalen Sicherheit mit der Folge von Regeln, die als wenig investorenfreundlich gelten; einen schwachen Binnenkonsum, der das Wirtschaftswachstum nicht mehr ankurbeln kann; eine ungünstige Kapitalallokation mit der Folge einer hohen Staatsverschuldung; eine Demografiefalle (die Geburtenraten sind dramatisch gesunken); eine junge Generation ohne Hoffnung, in Anbetracht der grassierenden Arbeitslosigkeit unter der jüngeren Bevölkerung.
Doch noch wichtiger ist, was gerade in den USA geschieht. Nach allgemeiner Auffassung wird das Goldlöckchen-Szenario (moderates Wachstum, keine Rezession) nunmehr von sinkenden Inflationsraten begleitet, nachdem sich die Federal Reserve darauf vorbereitet, ihren Kurs der geldpolitischen Straffung in absehbarer Zeit zu ändern.
Wenn jedoch eine Rezession vermieden werden kann, weil die Inflation wieder auf ein aus Sicht der Zentralbanken annehmbares Niveau sinkt, fragen sich die Märkte, ob die inverse Zinsstrukturkurve, mit der die Investoren in den letzten Jahren konfrontiert waren, noch richtig ist. Und die ausgeprägte Aktivität auf dem wichtigen US-Markt in den normalerweise ruhigen Augustwochen scheint darauf hinzudeuten, dass derzeit eine Auflösung der inversen Zinsstrukturkurve – also eine Desinversion – im Gange ist. Trendverschiebungen werden häufig von technischen Faktoren wie einer Liquiditätsverknappung ausgelöst, bevor sie sich fundamental durchsetzen. Selbst wenn es auch diesmal der Fall sein sollte, wird der Trendwechsel viele Nebeneffekte haben, und dies sowohl auf makroökonomischer Ebene als auch für verschuldete Unternehmen und Privathaushalte.
Von entscheidender Bedeutung war in diesem Zusammenhang die Ankündigung des US-Finanzministeriums, dass Investoren mit einem grösseren Angebot an langlaufenden Anleihen rechnen können – nicht zuletzt aufgrund des Aufholeffekts nach dem Emissionsstopp, als vor einigen Wochen die Anhebung der Schuldenobergrenze verhandelt wurde. Die Herabstufung des US-Ratings durch Fitch war wenig hilfreich.
Zusätzlich erschwert wurde die Situation durch Aussagen der US-Notenbank, nach denen die quantitative Straffung parallel zur erwarteten Lockerung der Geldpolitik fortgesetzt wird, möglicherweise ab dem nächsten Jahr. Die Tatsache, dass sowohl die Federal Reserve als auch das US-Finanzministerium das Angebot an langfristigen Anleihen in einer Zeit erhöhen, in der eine Desinversion einsetzt, macht das ohnehin schon komplexe Bild noch komplizierter und ist eine Entwicklung, mit der die aktuelle Anlegergeneration noch keine Erfahrung hat.
Die Kurse von Quality Growth Aktien legten im Berichtsmonat eine Verschnaufpause ein, die von obigen Faktoren beeinflusst wurde. Investoren in diesem Bereich können trotz der gestiegenen Zinsen und der Desinversion darauf vertrauen, dass sich die Quality Growth Unternehmen in ihrem Portfolio unabhängig von den festverzinslichen Märkten entwickeln, da ihr Wachstum weitgehend organisch ist. Für diese Investoren ist es unwahrscheinlich, dass die mögliche neue Normalität von zehnjährigen Anleihen mit einer Verzinsung von über vier Prozent alle anderen der zehn Goldenen Regeln beeinträchtigen wird, auf denen die Qualität der Wachstumsunternehmen beruht. Der Weg von den Quasi-Nullzinsen bis zum aktuellen Niveau war schnell und steil, aber der Grossteil der Aktienkurs- und Bewertungsrückgänge fand in der ersten Zeit der Inflation und der Zinsanpassung statt, wobei die Bewertungen heute wieder ein attraktives und vertretbares Niveau erreicht haben.
Im August fällt es Investoren immer wieder schwer, sich von den Geschehnissen an den Finanzmärkten abzulenken. Bis dann im September wieder Normalität eintritt…
P. Seilern,
22. August 2023
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