„Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern.“
Benjamin Franklin
Mit diesem berühmten Kommentar verwies Benjamin Franklin ursprünglich auf die grundlegende Anfälligkeit von Dingen, die eigentlich dauerhaft erscheinen (wie die damals neu ratifizierte Verfassung der USA), und stellte diese mit trockenem Humor seiner eigenen drohenden Sterblichkeit und seiner Abscheu für die Besteuerung auf Bundesebene gegenüber. Das Zitat wurde schon häufig von Journalisten und Fußballmanagern um einen dritten Begriff erweitert – für etwas, dessen Eintreten sie als sehr wahrscheinlich einschätzen – häufig humorvoll gemeint. Leider gibt es für uns als Fondsmanager nichts, was todsicher ist. Und das gilt insbesondere in der harten Welt der Fusionen und Übernahmen. Deren typische Ungewissheit ist einer der Gründe, warum wir bei Akquisitionen (insbesondere bei großen) skeptisch sind und warum wir einen solchen Schwerpunkt darauflegen, dass unsere Unternehmen dauerhaftes organisches Wachstum auf nachhaltigen Wegen erwirtschaften.
Als Adobe im September die beabsichtigte Übernahme von Figma für die Rekordsumme von 20 Mrd. US-Dollar1 ankündigte, sahen wir uns mit dem Dilemma konfrontiert, eine eindeutige Aussage zu einer inhärent unsicheren Frage machen zu sollen – nämlich ob es sich dabei um eine gute oder schlechte Übernahme handelt. Im Gegensatz zu kurzfristig orientierten Wertpapierhändlern und Sell-Side-Brokern, die innerhalb weniger Stunden zu einem Entschluss kommen müssen, können wir uns als langfristige Investoren die Zeit für eine fundierte Antwort nehmen. Wie so oft, wenn eines unserer Unternehmen Schlagzeilen macht, erreichte uns eine Flut von Fragen, die wir zum gegebenen Zeitpunkt nicht beantworten konnten. Nachdem sich die Wogen etwas geglättet haben, könnte es unserer Meinung nach nun interessant sein, einige dieser Fragen zu beantworten.
Die unmittelbare Reaktion
Adobe ist vor allem für seinen PDF-Reader und seine Photoshop-Tools bekannt. Im Laufe von 40 Jahren hat sich das Unternehmen zu einer dominierenden Kraft bei Software für Kreative entwickelt, die ein wichtiger Bestandteil der Arbeitsabläufe von Fotografen, Grafikdesignern, Videoherstellern und Künstlern ist. Dieses auch als Creative Cloud bekannte Produktangebot bildet die Grundlage für das Unternehmen und macht 60 % der Erlöse aus.2 Es erfüllt mit seinem dominanten Marktanteil, vorhersehbaren wiederkehrenden Umsätzen, hohen Margen und einer beeindruckenden organischen Wachstumsrate, bei der seine Umsätze mit einer CAGR von 15 % über einen Zeitraum von 20 Jahren gestiegen sind, in überzeugender Weise unsere 10 Goldenen Regeln.
Das Fotobearbeitungstool Photoshop, das Anfang der 1990s Jahre auf den Markt kam, bleibt das wichtigste Produkt in der Creative Cloud von Adobe. Eines seiner wichtigsten Unterscheidungsmerkmale ist die Fähigkeit, qualitativ hochwertige (extrem detaillierte) Inhalte zu entwickeln, die sich für Plakatwände vergrößern lassen und daher von Grafikdesignern weltweit verwendet werden. Figma ist außerhalb der Szene der Grafikdesigner und Entwickler viel weniger bekannt. Das vor 10 Jahren gegründete Unternehmen ist führend in einem Teilbereich des Grafikdesigns, der Gestaltung der sogenannten „Benutzererfahrung“ (User Experience, UX). Damit werden Inhalte bezeichnet, die ausschließlich für die digitale Ausgabe entwickelt werden, insbesondere bei der Gestaltung der Oberfläche von Websites und Apps. Der bemerkenswerte Erfolg von Figma ist darauf zurückzuführen, dass es sowohl cloud-native, also speziell für die Arbeit im Webbrowser entwickelt ist, als auch kollaborativ, was die Bearbeitung und Entwicklung von Vorschlägen mehrerer Personen gleichzeitig ermöglicht.
Auf den ersten Blick schlug das Management von Adobe drei Fliegen mit einer Klappe: Es kaufte innovative Technologien, erschloss einen neuen Wachstumspfad und nahm einen potenziellen Konkurrenten aus dem Spiel. Diese positive Reaktion verflüchtigte sich bei Bekanntwerden des gezahlten Preises. Mit 20 Mrd. US-Dollar würde Adobe das 50-fache der Umsatzerlöse zahlen, eine unglaubliche Summe, sogar in der Welt der Technik. Dieser hohe Preis, der zur Hälfte in Form von Aktien gezahlt werden sollte, löste unmittelbar zwei Bedenken aus, nämlich in Bezug auf eine Abwärtskorrektur der kurzfristigen Gewinnprognose nach unten (da die Ausgabe neuer Aktien den Gewinn je Aktie des Unternehmens schmälern würde) und die Sorge, dass das Unternehmen aus Verzweiflung gezwungen war, einen so hohen Preis zu zahlen. Ein Wall-Street-Analyst gab die unmittelbar folgende Hysterie genau wider:
„Es ist ein Schock: Dieses Unternehmen war bei seiner Kapitalverwendung immer unglaublich diszipliniert, es ist nie mit einem derartigen Multiplikator einer Übernahme hinterher gejagt… Die meisten Anleger haben das Gefühl: „Da stimmt was nicht, das ist eine defensive Aktion.“… Wir haben hier ein phänomenales Managementteam mit einem phänomenalen Franchise, das die Kunden lieben. [Aber] ich habe noch nie eine derartig heftige Ablehnung einer Transaktion unter Anlegern erlebt.“3
Die Befürchtungen, dass im Kreativgeschäft die vollständige Marktdurchdringung erreicht ist und eine Verlangsamung kurz bevorsteht, zirkulieren bereits seit vielen Jahren um Adobe. Dieser Deal wurde als Beweis dafür ausgelegt, dass Adobe Marktanteile an Figma abgeben musste, wodurch sein Kreativgeschäft an Dynamik verlor und das Management keine andere Wahl hatte, als den aufstrebenden Konkurrenten zu kaufen. Die Reaktion des Marktes auf diese instinktive Schlussfolgerung war nicht gut, wie der sinkende Aktienkurs4 und die theatralischen Äußerungen von Brokern und Journalisten deutlich machten.
Doch das Kerngeschäft von Adobe hatte 2022 nur geringfügig an Dynamik verloren, was vor allem durch die üblichen Begründungen wie dem starken Dollar, dem Krieg in der Ukraine und dem anspruchsvollen Vergleich des Wachstums mit dem Vorjahr erklärt werden konnte. Darüber hinaus war das Wachstum in den Jahren bis 2022 sehr stark gewesen, was kaum der Art von Performance entspricht, die einen verzweifelten Schritt erforderlich machen würde. Zweitens ist das Management von Adobe für seine Umsicht und konservative Vorgehensweise bekannt. Das Unternehmen hat sich stets auf rentables Wachstum und eine solide Bilanz mit Liquiditätsüberschuss konzentriert. Wir fanden es deshalb offensichtlich, dass Verzweiflung zwar eine naheliegende Antwort, aber nicht die einzige Begründung für den hohen gezahlten Preis sein konnte.
Ein etwas vorsichtigerer Erklärungsansatz
In den Tagen nach der Meldung führten wir Gespräche mit zahlreichen Experten, und es war auffällig, dass die meisten von ihnen trotz der offenkundigen Komplexität der Angelegenheit eine starke, ausgeprägte Ansicht zu den Gründen der Transaktion hatten. Der impulsive Wunsch, eine eindeutige Beurteilung zu finden, drängte die Würdigung von Nuancen anscheinend wieder in den Hintergrund. Wir haben uns die Zeit genommen, die zahlreichen in Online-Artikeln und in der Presse vertretenen Ansichten zu überdenken und – noch wichtiger – alle Argumente in unserem Team zu besprechen, was uns zu drei wichtigen Schlussfolgerungen führte.
Erstens war die Position von Adobe bei seinen Kernkunden unverändert stark, und sein Wachstumspotenzial war intakt. Die meisten Adobe-Kunden nutzen im Rahmen ihres Creative Cloud-Abonnements mehrere Tools. Selbst eine Design-Agentur, die hauptsächlich Photoshop nutzt, wird im Jahr irgendwann Bedarf an Lightroom (Bildspeicherung), Illustrator (Vektorgrafiken) oder Premiere Pro (Videos) haben. Die Creative Cloud bietet ihnen diese Flexibilität für 800 US-Dollar, was einem winzigen Bruchteil ihrer gesamten Betriebskosten entspricht. Figma hatte daran nichts geändert. Das zukünftige Wachstum von Adobe wurde durch den Aufstieg von Figma vielleicht im Bereich UX-Design behindert. Aber auf UX entfällt nur ein kleiner Teil des Gesamtdesignmarktes, was sich daran zeigt, dass Figma mit einem Löwenanteil dieses Marktes nur 400 Mio. US-Dollar Umsatz machte, was gerade 2 % des Gesamtumsatzes von Adobe entspricht. Das war zu wenig, um erhebliche Auswirkungen auf Wachstumsraten zu haben, und wäre es sicher nicht wert gewesen, den Ruf des Managements auf diese Weise zu schädigen. Zweitens ging mit der Übernahme keine Änderung der Strategie einher. Das Management hat sich zu Recht den Ruf erworben, umsichtig zu sein, aber in der Geschichte von Adobe hat es auch einige große Deals gegeben.
Nachdem wir zu dem Schluss gekommen waren, dass keine unserer 10 Goldenen Regeln gebrochen worden war, blieb die dritte und letzte Frage rund um den hohen Preis unbeantwortet. Aber bald wurde klar, dass diese Transaktion langfristig das Potenzial hat, erheblichen Wert zu generieren.
Es bieten sich große Cross-Selling-Möglichkeiten. So wird Figma der großen Nutzerbasis von Adobe mit fast 30 Mio. zahlenden Abonnenten zugänglich gemacht. Ebenfalls wird Adobe dem bisher quasi unberührten Entwicklermarkt zugänglich gemacht. Noch wichtiger ist allerdings die erworbene Technologie, denn Figma besitzt Spezialkenntnisse für browserbasierte Kollaborationsanwendungen. Das mag nicht nach der anspruchsvollsten Technologie klingen, tatsächlich ist es aber schwierig, ein komplexes Designwerkzeug zu erstellen, das die Möglichkeit für gleichzeitige Aktualisierungen an mehreren Standorten und in Echtzeit bietet.
Das Potenzial geht jedoch über die gegenseitige Befruchtung mit vorhandenen Apps und Technologien hinaus. Figma ist eine Plattform, die in Kombination mit der Expertise und dem F&E-Budget von 3 Mrd. US-Dollar von Adobe für die Entwicklung der nächsten dominanten Design-Software für Kreative genutzt werden kann.
Daher sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Transaktion nicht in erster Linie defensiver Natur war und Wachstum ankurbeln sollte, auch wenn sie dies tun wird. Und es ging nicht nur um die Beseitigung eines bedrohlichen Konkurrenten – obwohl auch dieses eine Konsequenz der Transaktion ist. Der aufregendste Aspekt, der auch den hohen Kaufpreis rechtfertigen könnte, ist das Potenzial, neue Produkte und neue Märkte zu schaffen, in denen das fusionierte Unternehmen der dominante Akteur wird.
Wenn wir also unsere Analyse über den Horizont von zwei Jahren hinaus erweitern, auf dem die meisten Befürchtungen des Marktes beruhen, ist der hohe Preis leichter zu rechtfertigen.
Es gibt noch einige weitere Punkte, die bei der Betrachtung des Preises und der Begründung dieses Geschäfts zu beachten sind. Erstens war Figma kein allgemein verfügbares Gut. Der bisherige Erfolg des Unternehmens bereitete es optimal für einen Börsengang in den Jahren 2022 oder 2023 vor. Der Abverkauf am Markt bremste diese Pläne und ließ für Adobe ein kleines Zeitfenster für ein erfolgreiches Angebot. Zweitens hatte Adobe schon seit einiger Zeit Interesse bekundet und in den Jahren 2020 und 2021 Gespräche aufgenommen, was verdeutlicht, dass dies keine kurzfristige, reaktive Aktion war. Drittens hätte kein anderer Käufer das gleiche Wachstumspotenzial aus Synergien schöpfen können. Eine Transaktion, die für andere Unternehmen teuer wirkt, kann daher für Adobe angemessener sein.
Damit bleibt eine letzte Frage: Warum hat Figma dem Geschäft zugestimmt? Die naheliegende Antwort ist Geld. Aber der CEO von Figma, Dylan Field, hätte gewusst, dass ein ebenso lukrativer Börsengang in Reichweite war. Und darüber hinaus wirkt er auf uns nicht wie jemand, dessen einzige Motivation Privatjets und Immobilien in Kalifornien sind. Möglicherweise wurde ihm klar, dass das Potenzial für Figma in Kombination mit Adobe viel größer ist als bei einem Versuch, alles alleine zu stemmen. Und dies ist ein Grund, warum er einen größeren Anteil der Zahlung in Form von Adobe-Aktien als in bar verlangte.
Vertrauen in unseren Ansatz
Übernahmen fügen der ohnehin schwierigen Aufgabe, in Unternehmen zu investieren, eine weitere Ebene von Unwägbarkeiten hinzu. Viel zu häufig stellen sie sich als teure Ablenkungen heraus, gelegentlich sind sie aber berechtigt. Einige optimistischere Beobachter haben den Figma-Deal mit den Übernahmen von Instagram und WhatsApp durch Facebook für 1 Mrd. US-Dollar bzw. 19 Mrd. US-Dollar verglichen. Zum damaligen Zeitpunkt wurden beide Summen als astronomisch angesehen. Heute sieht es so aus, als würden sie sich um ein Vielfaches bezahlt machen. Und dabei hatte es sich bei ihnen um Einzel-Apps mit streng begrenztem Nutzungsbereich gehandelt. Es gibt Vergleiche, die näher liegen, beispielsweise die Übernahme von Macromedia durch Adobe im Jahr 2006 und sogar die Übernahme von Photoshop im Jahr 1993. Letztere kostete 34,5 Mio. US-Dollar, ist heute aber für Umsätze in Höhe von 5 Mrd. USD verantwortlich und war die Grundlage für die meisten anderen Apps für Kreative.
Wir finden es alles andere als angenehm, wenn der Kurs eines unserer Unternehmen um 20 Prozent fällt. Wie unsere Anleger wohl nachvollziehen können, ist die unmittelbare Reaktion der Gedanke, dass etwas nicht gut lief. Wenn es allerdings keine Verschlechterung des zugrunde liegenden Geschäfts gab, betrachten wir diesen Rückgang als Gelegenheit für eine Erhöhung zukünftiger Renditen. Bei vielen Dingen im Leben gibt es keine absolute Sicherheit, und wir behaupten nicht, dass der Figma-Deal auf jeden Fall ein Erfolg wird. Schließlich ist noch die behördliche Genehmigung erforderlich, und selbst danach ist die Integration des Unternehmens mit Risiken verbunden. Eine Situation wie diese lässt sich unserer Meinung nach nur richtig analysieren, wenn man sich Zeit nimmt, alle möglichen Szenarien zu beurteilen. Aus diesem Grund ist uns ein starkes Research-Team wichtig, das uns hilft, die richtige statt die scheinbar naheliegende Antwort zu finden.
31. Januar, 2023
Q. Macfarlane
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