Der Januar hat sich als einer der besten Jahresanfänge für die Finanzmärkte seit mehreren Jahren erwiesen – zur Überraschung vieler Pessimisten, vor allem in den Medien. Sowohl die Aktien- als auch die Anleihekurse legten kräftig zu und signalisieren damit möglicherweise, dass bei der Inflation und den Inflationserwartungen ein Wendepunkt erreicht und überschritten wurde. In der Tat haben alle wichtigen jüngsten Statistiken bestätigt, dass der Trend nun auf schrittweise niedrigere Inflationszahlen im weiteren Jahresverlauf hindeutet.
Allerdings ist es bemerkenswert, wie die Kerninflation angesichts der immer noch angespannten Arbeitsmärkte in den westlichen Volkswirtschaften hartnäckig auf ihrem zu hohen Niveau verharrt. Es wurde bereits viel über dieses Thema und die Gründe für den offensichtlichen Wandel in der Arbeitseinstellung potenzieller Mitarbeiter geschrieben. Ein Anstieg der Anträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA in den kommenden Monaten würde von den Finanzmärkten in diesem Fall erstaunlicherweise positiv aufgenommen werden, da dies das Risiko einer Lohn-/Preisspirale verringern würde. Doch die Zeit wird zeigen, was letztendlich passiert.
Was den Märkten auch geholfen hat, ist die verbesserte Liquiditätslage, die begann, als der Außenwert des US-Dollars im vierten Quartal 2022 allmählich nachließ. Dies wurde weitgehend von weltweit fallenden Anleiherenditen begleitet, wodurch sich die zuvor angespannte Liquiditätssituation verbesserte, die den Märkten im letzten Jahr einen Schrecken eingejagt hatte. Es ist kein Zufall, dass die weltweiten Aktienmärkte gleichzeitig die Talsohle durchschritten haben, da die Aktivität in allen Teilen der Anleihemärkte wieder anzog, insbesondere bei Unternehmensanleihen, einschließlich risikoreicher Emittenten.
Die chinesischen und indischen Märkte stiegen ebenfalls stark an – in Erwartung der Effekte, die mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach Aufhebung der Covid-bedingten Lockdowns in China einhergehen dürften.
Es gibt jedoch auch einen wichtigen Vorbehalt: die immer lauter werdende Debatte rund um die künftige Schuldenobergrenze in den USA, auch bekannt als Schuldendeckel. Die Verlängerung der Schuldenobergrenze später in diesem Jahr muss vom Kongress genehmigt werden, der von den Republikanern kontrolliert wird. Es gibt jedoch einen harten Kern, der die Verlängerung der Schuldenobergrenze verhindern könnte. Damit könnten die USA ihr wertvolles AAA-Rating für Staatsanleihen verlieren, was in der Vergangenheit bereits der Fall war.
Diese Situation hat zum Einsatz des sogenannten Treasury General Account (TGA) geführt. Dabei handelt es sich um eine Art von Liquiditätsreserve, mit der das Tagesgeschäft der Regierung über das Bankensystem finanziert wird. Einige Beobachter sind der Ansicht, dass die oben erwähnte verbesserte Liquiditätslage und die fallenden Anleiherenditen künstlich durch den Einsatz des TGA hervorgerufen wurden und dass es wieder zu einem Liquiditätsengpass kommt, wenn das TGA nicht mehr verwendet wird. Es ist jedoch nicht klar, welcher Anteil des TGA in den Finanzmärkten und nicht in der allgemeinen Wirtschaft ankommt. Was laut Bloomberg jedoch außer Frage steht, ist, dass US-amerikanische Pensionsfonds nun auf einem Überschuss von 1 Billion US-Dollar sitzen, wovon ein Großteil in den kommenden Monaten in den Rentenmarkt fließen dürfte.
Indessen sind die Rohstoffpreise wieder auf ihre Niveaus vor dem Ukraine-Krieg zurückgekehrt. Dies spricht auch für einen Rückgang der Inflation und der Inflationserwartungen.
Dennoch halten die meisten Zentralbanken an ihrem aggressiven Kurs fest, auch wenn sich ihre Rhetorik subtil geändert hat. In ihren Augen muss sich der angespannte Arbeitsmarkt entspannen und die Inflation in den dienstleistungsbezogenen Wirtschaftsbereichen nachlassen. Für die Rentenmärkte in den USA hingegen zeigt das Lohnwachstum bereits nach unten. Die Zentralbanken sehen eines der Risiken darin, dass steigende Vermögenspreise zu einem Wohlfühleffekt führen und eine positive Feedback-Schleife erzeugen könnten, die den Rückgang der Inflation und der Inflationserwartungen durch höhere Verbraucherausgaben verlangsamen würde.
Dieser Hintergrund hat zu einem Kampf der Titanen geführt, wobei die Rentenmärkte ein besseres Inflationsumfeld signalisieren, während die Zentralbanken vor einem bevorstehenden Zinsanstieg warnen. Es stellt sich also die Frage, wer für den Preis des Geldes zuständig ist: die Rentenmärkte oder die Zentralbanken?
In einem bemerkenswerten Interview mit der FT ließ Philip Lane, ein prominentes Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, kürzlich verlauten, dass die Rolle der Rentenmärkte darin besteht, die Maßnahmen ihrer Zentralbanken zu „antizipieren“. Diese Formulierung ist – absichtlich oder nicht – vage. Es wird jedoch deutlich, dass die Anleiherenditen inmitten einer im historischen Vergleich sehr restriktiven Rhetorik der weltweiten Zentralbanken im Berichtsjahr deutlich gefallen sind, was die Aktienkurse in die Höhe zog. Da sich die ewige Jagd nach Renditen nun in Anbetracht ihrer attraktiveren Niveaus fortsetzt, würden bestimmte Beobachter behaupten, dass es die Rentenmärkte sind, die für den Preis des Geldes zuständig sind, nicht die Zentralbanken. Diese Märkte antizipieren nicht die Geldpolitik der Notenbanken, sie geben den Ton an und senden die Signale, denen dann die Notenbanken folgen. Einigen erscheint dies zu theoretisch. Andere hingegen sehen darin den Wegbereiter für einen Aufwärtstrend an den Aktienmärkten, ganz zu schweigen von der Kursentwicklung rentabler und etablierter Unternehmen mit langer Duration, die in die Quality-Growth Anlageklasse fallen. Es wird auch die Debatte darüber anfachen, ob „The Big Long“ zurückkehrt.
Wenn sich das Weltwirtschaftswachstums aufgrund der gedämpften Inflation als robuster erweist als befürchtet, wenn die Liquidität an den Finanzmärkten im weiteren Jahresverlauf nicht versiegt und wenn die Aktienkursbewertungen von Renditen im Festzinsbereich unterstützt werden, die moderater ausfallen als erwartet, könnten die drei Säulen der Finanzmärkte wieder ins Lot kommen.
P. Seilern,
31. Januar 2023
Jegliche Prognosen, Meinungen, Ziele, Strategien, Ausblicke und/oder Schätzungen und Erwartungen oder andere nicht-historische Kommentare, die in diesem Dokument enthalten sind oder darin zum Ausdruck kommen, basieren ausschließlich auf aktuellen Prognosen, Meinungen und/oder Schätzungen und Erwartungen und gelten als „zukunftsorientierte Aussagen“. Zukunftsgerichtete Aussagen unterliegen Risiken und Unsicherheiten, die dazu führen können, dass die tatsächlichen zukünftigen Ergebnisse von den Erwartungen abweichen. Die in diesem Dokument zum Ausdruck gebrachten Ansichten, Prognosen, Meinungen oder Schätzungen und Erwartungen spiegeln die bestmögliche Einschätzung von Seilern Investment Management Ltd zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Mitteilung wider und können sich jederzeit ändern. Es wird keine Verantwortung oder Haftung für die Änderung, Berichtigung oder Aktualisierung der hierin enthaltenen Informationen oder Prognosen, Meinungen und/oder Schätzungen und Erwartungen übernommen.
Bitte beachten Sie, dass die Wertentwicklung in der Vergangenheit nicht als Indikator für die zukünftige Wertentwicklung angesehen werden sollte. Jedes Finanzinstrument, das auf dieser Website angeboten wird, kann als hochriskant eingestuft werden, und es kann sein, dass der Anleger seine ursprüngliche Investition nicht vollständig zurückerhält. Der Wert der auf dieser Website enthaltenen Anlagen und/oder Finanzinstrumente und die daraus erzielten Erträge können schwanken und Sie erhalten möglicherweise nicht den ursprünglich investierten Betrag zurück. Darüber hinaus können auch Börsenschwankungen und Währungsschwankungen den Wert der Anlagen beeinflussen.
Erhalten Sie unsere neuesten Erkenntnisse und Veranstaltungshinweise direkt in Ihrem Posteingang
„*“ zeigt erforderliche Felder an